
Diese Halbwahrheiten...
Also original wurde der Pionier (eigentlich ein stinknormaler Vierzylinder Reihendiesel) mit der Hand angekurbelt. Der gesamte Traktor ist pure Vorkriegstechnik und geht auf eine Konstruktion der FAMO in Breslau zurück. Die haben haargenau den selben Traktor als Typ XL, bzw. Boxer (auch bzw. vor allem in Raupenausführung neben der bekannten Rübezahl-Raupe, die ebenfalls in der DDR kopiert und in Brandenburg gebaut wurde) gebaut und verkauft. Das war 1936, und da hatte man's noch nicht so mit Anlassern für Dieselmotoren.
Gängige Praxis war, eine Dekompressionsanlage einzubauen, bei der die Auslassventile über einen Hebelmechanismus geöffnet wurden und man so "leer" mit der Kurbel Schwung holen konnte, ehe man dann auf Kompression stellte und so also schon genügend Schwung zum Andrehen des Motors hatte. Deutz z.B. ist dafür bekannt gewesen, und da gab es auch keine Glühkerzen, sondern Papierfaser-Lunten, die in den Brennraum geschraubt wurden und deren Fasern bei Kompression zu glimmen begannen. Bei Brockenhexe und Aktivist, sowie bei allen Deutz-Motoren war dies so.
Nicht aber beim Pionier, da war der Hubraum zu groß, um ihn direkt "auf Diesel" anzukurbeln. Deshalb wurde er mit einer Benzin-Startanlage versehen. Die funktioniert so:
Im Zylinderkopf sitzen die Nockenwelle, welche sich exzentrisch verdrehen lässt, die Einspritzdüsen, sowie Zündkerzen und kleine Ventile (sog. Flatterventile, welche die für die Versorgung mit Benzin-Luftgemisch sorgen). Am Motor selber sind ein Vergaser (der mit dem der EMW R35 fast identisch ist), ein Benzintank und ein Magnetzünder, der auch im Dieselbetrieb immer unbelastet mitläuft (darin liegt übrigens auch die Krankheit an diesem Motor) angebracht. Über einen Hebel mit Steckschlüsselaufsatz wird vor dem Start die Nockenwelle so verdreht, dass sie auf die Flatterventile wirkt und die normalen Einlassventile für Dieslebetrieb außer Kraft gesetzt sind. Durch Tippen wird der Vergaser geflutet, und der Stromabnehmer am Magnetzünder eingeschaltet. Dann dreht man mit Schmackes an der Handkurbel (bei voller Kompression) und der Motor springt auf Benzinbetrieb an.
Man lässt ihn eine Weile so laufen, bis der Motor etwas warm ist, und dann kommt die typische Pio-Fahrer-Handbewegung: Der Steckschlüssel wird wieder zurückgedreht, damit die Nockenwelle wieder verdreht, wodurch die Flatterventile keine Funktion mehr haben und über die normalen Einlassventile nur Luft einströmen kann, um sich mit dem eingespritzen Diesel zu verwirbeln. Gleichzeitig greift man irgendwie fast schon automatisch zur Einspritzpumpe, wo man über das Gasgestänge für die nötige Diesel-Versorgung sorgt, damit der Motor im Moment des Umschaltens nicht ausgeht. Dann nur noch den Benzinhahn zumachen und losfahren.
Man kann sich sicherlich vorstellen, dass diese ganze Prozedur sehr aufwändig ist und beim allmorgentlichen Arbeitsantritt auf der MAS oder später der LPG für ordentliche Anstrengung gesorgt hat. Deshalb hat man versucht, alternative Methoden zum Pionier-Start zu entwickeln. Da gab es den sog. Rogge-Motor. Bei ihm saß an der Seite ein Druckluftbehälter, welcher über einen bordeigenen Kompressor gefüllt wurde. Dieser sollte beim Starten durch Druckluft die Kolben in Bewgung setzen. Ich erspar mir jetzt die ganze Erklärung: es blieb bei einigen Prototypen und Kleinsereinfahrzeugen....
Deshalb dachten sich die Traktoristen und Schlosser "selbst ist der Mann" und versahen den Pionier mit einem Anlasser und 2 12V-Batterien, dadurch fiel das allmorgentliche Leiern an der Drehorgel weg. Später, im letzen Produktionsjahr des Pionier erkannte man auch im Werk in Nordhausen diese Idee, und rüstete den Pionier original ab Werk elektrischem Anlasser aus, wobei zu dem Zeitpunkt eh schon 99% aller Pioniere bereits so umgerüstet wurden.
Deshalb wird man heutzutage einen originalen Pio mit Benzinstartvorrichtung kaum noch finden.
Ein Treckerkumpel von mir hat einen solchen Pionier mit originalem Benzin-Anlass-Motor, und für mich ist es immer wieder ein Erlebnis, diesen Motor zu starten.

Mal ganz davon abgesehen, dass mein Opa in den 50er Jahren lange Zeit einen solchen Pio selber gefahren hat (sogar noch einen der ersten, aus Zwickau, quasi nen Horch

)...
mfG Christoph